Menschenbildungsprogramm als Irrtum

 

Marian Heitger (Die Presse) 08.11.2003

 

Alle Pädagogik hat die un ausgesprochene Absicht, die Menschen und mit ihr die Gesellschaft zu verbessern. Diesem Anspruch liegt die Vorstellung zugrunde, die den Menschen als unvollkommen, defizitär, aber zumindest als verbesserbar empfindet.

Die Thesen der sogenannten Zukunftskommission bestätigen diesen Zusammenhang. Sie beginnen mit der programmatischen Aussage: "Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft"; sie nennen "Benchmarks", an denen die pädagogischen Erfolge der Mitgliederstaaten der Europäischen Union gemessen werden:

Die Planungshysterie erinnert fatal an die verschiedenen Vier- und Fünfjahrespläne, mit denen bekanntlich planwirtschaftliche Systeme die Produktion zu steigern versprachen.

Die Analogie zur Pädagogik führt zu der, wenn auch nicht direkt geäußerten, Vorstellung, in gleicher Weise "Bildung" planen und produzieren zu können. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Denn:

1. Bildung hat es immer mit Selbstbestimmung zu tun. Das ist keine antiquierte Romantik, sondern Anerkennung des Menschen in seinem unhintergehbaren Wert.

2. Bildung ist nicht messbar und zählbar, auch nicht durch ein ausgeklügeltes System von Input-Output-Verfahren. Die wirklichen Tugenden des Menschen als Ausdruck seiner Bildung wie etwa Liebe und Güte, Besonnenheit und Demut, aber auch Mut zur eigenen Entscheidung und Absage an Feigheit entziehen sich zählbaren Verfahren; sie bleiben schließlich außerhalb der pädagogischen Absicht.

3. Bildung kann durch noch so feine berechnete Steuerungsmechanismen nicht gemacht werden; sie bedarf der Anstrengung dessen, der sich bildet, sie ist, wie Pestalozzi formulierte, "Werk seiner selbst".

4. Bildung sieht den Menschen nicht als Ressource für die Steigerung der Produktion, sie degradiert ihn nicht zur gesellschaftlichen Funktion.

Offenbar kann sich das von der Zukunftskommission vorgelegte Programm nicht damit abfinden, dass der Mensch weder mach- noch formbar ist, dass er trotz aller Planungsvorgaben über ein Bewusstsein von Freiheit verfügt, und dass er im Wissen um seine Freiheit auch immer wieder anders handeln kann, als es der Zukunftsplan der Zukunftskommission vorgesehen hat.

Deshalb könnte sich das vorliegende Menschenbildungsprogramm als fataler Irrtum erweisen.

Univ.-Prof. Dr. Marian Heitger